Hat mich der Teufel geritten?

Es hatte mich wohl der Teufel geritten… als ich mit meinen 73 Lenzen unlängst auf die Idee kam, wieder einmal aus meinem schönen Thailand zu entfliehen und ein Abenteuer zu suchen. Die beste Ehefrau von allen schaute mich zwischen fragend und widerspenstig an, wusste aber wohl, dass ich von meiner Absicht nicht abzubringen war. Es sollte irgendwo hingehen, wo es nicht zu heiß war, aber man gleichzeitig dem durchorganisierten Alltag für ein paar Tage entkommen konnte

DENKZETTEL

Dr. Gunter Denk

1/2/20258 min lesen

Have I gone completely mad?
Have I gone completely mad?

Es hatte mich wohl der Teufel geritten, als ich mit meinen 73 Lenzen unlängst auf die Idee kam, wieder einmal aus meinem schönen Thailand zu entfliehen und ein Abenteuer zu suchen. Die beste Ehefrau von allen schaute mich zwischen fragend und widerspenstig an, wusste aber wohl, dass ich von meiner Absicht nicht abzubringen war. Es sollte irgendwo hingehen, wo es nicht zu heiß war, aber man gleichzeitig dem durchorganisierten Alltag für ein paar Tage entkommen konnte.

Gesagt, getan. Eine Woche später brachen wir auf. Wie üblich stand vor der Urlaubsentspannung erst einmal eine recht lange und von Vorfreude geprägte Flugreise. Die Vorfreude ebbte allerdings recht bald nach der Ankunft ab. Was ich ganz früher in Afrika oder ‚Hunderttausende von Kilometern entfernt‘ auch in anderen Ländern schon erlebt hatte, trat ein: Wir standen am Gepäckband. Jedoch die Koffer kamen und kamen nicht.

Wir waren müde. Ebenso müde waren offensichtlich die Mitarbeiter der Airline und des Flughafens. Denn keiner von jenen ließ sich blicken, um den Wartenden Trost oder gar Hoffnung zu spenden. Auf einem Schild stand nur spröde zu lesen, dass wir noch auf unser verspätetes Gepäck warten müssten.

So verbrachten wir zwei geschlagene Stunden im Kreise von verstört umherschauenden Mitreisenden. Wir analysierten interessiert die unterschiedlichsten Emotionen der Mitwartenden, die das gesamte Spektrum zwischen Resignation und Terrordrohung umfassten. Ein El Dorado für Psychologiestudenten.

Dann allseits Entsetzen: Ein Mensch kam auf einem Lastenfahrrad mit drei Koffern in die Gepäckausgabe gerollt. Das dürfte nicht wahr sein! Würden jetzt tatsächlich die Gepäckstücke von ca. 180 Reisenden mit dem Fahrrad vom Flugzeug abgeholt?

Schließlich ein Aufatmen. Das Fahrrad fuhr zum Gepäckschalter für Übergewichtige. Für übergewichtige Koffer natürlich! Und das Band begann sich zu bewegen! Nach etwa zehn Minuten gespannten Starrens auf das Austrittsloch des Transportbandes ging es los.

Ein Koffer kam nach dem anderen. Zuerst einmal die Economy-Koffer. Dann die der Crew. Und 20 Minuten später, endlich, ganz am Ende, kamen auch die eindrucksvoll mit signal-roten Anhängern markierten Priority-Koffer der Business Class.

Aber jetzt nichts wie ab ins Hotel.

Leider war der letzte Shuttlebus zu unserem Hotel, das zu einer westlichen Kette mit dem Namen „Holiday“ im Firmennamen gehörte, bereits abgefahren. Ein cleverer und lebenserfahrener Fahrer eines anderen Hotelbusses sah unsere Verzweiflung und bot uns eine Win-Win Lösung an: Gegen ein in unserem Ermessen stehendes Bakschisch würde er mit seinen Gästen erst einmal einen Abstecher machen und - abhängig von unserer Großzügigkeit - sogar zuerst einmal uns direkt zu unserem Hotel bringen. Das ist das Wunderbare an einem Entwicklungsland. Mit ein paar Dollar Cash lassen sich viele Dinge regeln.

Im Hotel angekommen fanden wir eine Rezeption mit außerordentlich freundlichen Mitarbeitern vor. Sie erklärten uns zunächst, welche der Zimmereinrichtungen nicht funktionierten und verkündeten strahlend, dafür bekämen wir aber zwei Flaschen Bier mit aufs Zimmer. Nun denn, das war auch schon etwas.

Es kam uns dann etwas seltsam vor, dass wir auf dem Weg von der Rezeption zum Aufzug Menschen sahen, die in beide Richtungen liefen, genau wie eine Ameisenstraße. Steckte ein Plan dahinter? Warum verhielten sich die Menschen so?

Als wir am Aufzug ankamen, wurden uns die Instinkte der Ameisenzüge klar! Unsere Schlüsselkarten, die wir im Aufzug an ein Kartenlesegerät halten mussten, um die Kabine zu starten, waren nutzlos. Der Aufzug akzeptierte sie nicht.

Also zurück zur Rezeption. Dort war das Problem offenbar schon seit einiger Zeit bekannt, und man schaute uns mit einem gewissen Amüsement an: Nur das universelle Kartenlesegerät der Rezeption, so teilte man das Rezeptions-Geheimwissen mit uns, funktionierte mit diesem Aufzug. Normale Zimmerkarten funktionierten zurzeit nicht. Die freundliche Rezeptionistin begleitete uns, berührte, unsere bewundernden Blicke genießend, das Lesegerät, und ab ging‘s in den fünften Stock.

Den Gedanken, was der tiefere Grund dafür sein könnte, dass der Aufzug im Erdgeschoss nicht blockiert war, und Neuankömmlinge von der charmanten Empfangsdame hin und her geschickt wurden, verwarf ich sofort: Ich hatte es ja so gewollt. Ich wollte ja in ein Entwicklungsland reisen. Dort fragt man nicht nach Logik!

Auf dem Weg später an die Bar, wo wir die beide versprochenen Biere abholten, schmunzelten wir im Vorbeigehen über den immer noch anhaltenden Ameisenzug. Wir entspannten uns. Der Urlaub konnte beginnen.

Am nächsten Morgen wartete auf uns ein außerordentlich freundlicher Fahrer in einem unerwartet sauberen Kleinbus, den wir für uns für einige Tage gemietet hatten.

„Eine gute Entscheidung“, begrüßte er uns, „dass Sie nicht die Bahn gewählt haben“.

Im letzten Monat seien nämlich 17 Skelette auf den Bahnschienen gefunden worden, erklärte er. Der Grund liege darin, dass diese Menschen hatten Selbstmord begehen wollen, und sie sich deshalb auf die Gleise gelegt hatten. Sie seien aber dann verhungert, bevor der erwartete Zug mit langer Verspätung eintraf. Ich war zunächst erschüttert, erfuhr aber mit gewissem Staunen, dass die sozialistische Regierung dem Volk einen festen Plan vorgelegt habe, wie sie die Züge bis 2073 wieder pünktlich fahren lassen wollte. Nun ja, ich werde es nicht mehr kontrollieren können.

Endlich angekommen im 4-Sterne-Ferienhotel einer anderen, internationalen Kette, begrüßte man uns überschwänglich. Man wolle uns, so erfuhren wir, fortan „Mitnehmen auf die Reise in die Nachhaltigkeit“. Deshalb freue man sich, uns mitteilen zu dürfen, dass unser Zimmer nur noch alle drei Tage gereinigt würde.

Zugegeben etwas sarkastisch merkte ich an, dass ich dann gerne auch noch mein morgentliches Häuflein in Zimmermitte legen würde. Dies diene bestimmt auch der Nachhaltigkeit beim Einsparen von Spülwasser für die Toiletten. Außerdem würden dann vielleicht auch die verstaubten Teppichfasern gut gedüngt weiterwachsen. Man schaute mich zwischen verständnislos und abweisend an.

Beim Bier abends an der Bar stellte ich dann fest, dass man sich in diesem Hotel nicht nur um die Nachhaltigkeit, sondern besonders auch um die Figur der Gäste sorgte. Man bot uns nämlich an, für umgerechnet schlappe 4,50 US-Dollar ein Tütchen Erdnüsse zum Bier zu servieren. Das sollte offenkundig helfen, die Diät einzuhalten.

Nach einigen weitere guten Bieren, einer ebenfalls sehr guten Pizza, aber ohne Erdnüsse, hatten wir dann die nötige Bettschwere. Im Zimmer angelangt, wurde die Klimaanlage durch Einstecken der Zimmerkarte aktiviert. Bei knapp über 0° C draußen würde dies sehr schnell das Zimmer wohlig warm machen.

So dachte ich. Aber weit gefehlt! Wohl um unsere Reise in die Nachhaltigkeit noch spannender zu machen, ließ sich die Heizung nicht über 18° einstellen. Aus dem warmen Thailand angereist war dies durchaus eine Herausforderung. Meine bis dahin geduldige Frau murmelte etwas von „kultureller Aneignung von den Eskimos“, als sie sich, mir einen nun doch etwas bösem Blick zuwerfend, in zwei dicke Decken einwickelte. Genau: in zwei Decken. Für mich blieb keine Decke übrig. Ich hätte es ja doch so gewollt raunzte sie mich noch kurz und schlief ein.

Ich fror.

Am dritten Morgen, dem Reinigungstag des Hotels, wurde ich vollends konfus! Ich wachte auf und war sicher, ich sei in Neuseeland. Nach kurzem klopfen waren drei Menschen ins Zimmer eingetreten und redeten mit großen, dunklen Augen auf mich ein.

„Chula,“ rief ich begeistert meiner Frau zu, „komm her! Es war alles bisher nur ein Albtraum. Wir sind in Neuseeland. Hier machen gerade drei Māori den bekannten „Haka“ Begrüßungstanz mit rollenden Augen und drohenden Grimmassen.“

Meine Begeisterung legte sich abrupt, als mich die Wirklichkeit durch die drei Menschen umzingelte. Es handelt sich nicht etwas um diesen tollen „Haka“-Tanz, der schon die neuseeländischen „All Blacks“ Fußballer weltweit bekannt gemacht hatte.

Vielmehr war es das Reinigungspersonal, das uns klarzumachen versuchte, dass jetzt die dreitägige Reinigung anstand. Nach kurzer Verständigung mit Handzeichen und unterschiedlichen Sprachvariationen verstanden wir: Wir sollten nun das Zimmer räumen, um dem Reinigungsteam Platz zu machen.

An der Rezeption bedauerte man das Vorgehen und versprach und diesmal zwar keine zwei Flaschen Bier, allerdings Sonderpunkte zum Meilen sammeln der Hotelkette. Nun ja. Wir verzichteten.

Der gesamte Urlaub war dann leider auch kulinarisch weniger reizvoll als erhofft. Abends schlossen die meisten Bars und Gaststätten, die sich nicht zum Rotlicht zählten, zwischen sechs und neun Uhr. „Personalmangel“ hörte man allenthalben. Die Leute lebten, so erfuhren wir, von der Wohlfahrt oder wollten nicht arbeiten. Die hingegen, die arbeiteten, hätten kein Geld, um auszugehen oder wanderten aus.

Und so war es nach Tagen der Selbstvorwürfe über meine Reiseentscheidung, einer gleichsam vorwurfsvoll schweigsamen Ehefrau und von Kämpfen mit dem Drittwelt-Chaos an der Zeit, sich auf die Heimreise zu machen. Der freundliche Fahrer setzte uns rechtzeitig am Hauptflughafen des Gastlandes ab, und wir waren pünktlich am Flugsteig. Wir konnten es kaum erwarten, nach Hause zu fliegen.

Zur Abflugzeit, bereits zum Start angeschnallt, das Tischchen hochgeklappt und befehlsgemäß das Handy ausgeschaltet, informierte uns dann der Pilot, dass das Flughafen-Management wohl nicht mit so vielen Flugzeugen auf einmal gerechnet habe. Deshalb werde es eine Weile dauern, bis man losfliegen dürfe.

Ich wunderte mich. Konnten all diese Flugzeuge hier ganz überraschend und unangemeldet eintreffen? Nun ja, man weiß ja nie.

Einige Mitflieger, und wir ganz besonders, wurden zunehmend nervöser. Es ging nämlich zunächst zu einem Umsteigeflughafen, und die Umsteigezeit ins heimische Bangkok war schon bei regulärer Ankunft recht knapp. Die charmante Flugbegleiterin wusste wohl auch davon und sprach nach Abflug mit dem Piloten. Dieser vermittelte uns durch sie wohl auch sein volles Mitgefühl und kurz vor der Landung wurden alle Passagiere von der Purserette aufgefordert, Fürbitte für uns zu leisten.

Das hörte sich dann so an: Now let’s cross our fingers for those among us, who need to reach a connection flight!“

Wir waren gerührt über so viel Loyalität und Unterstützung. Es klang wie die ahnungsvolle Aufforderung bei einer Beerdigung, nunmehr für den zu beten, der der nächste unter den Trauergästen sei, den der Herr zu sich rufe.

Das war es aber dann auch schon mit dem Mitgefühl. Gelandet surrten kleine Elektrofahrzeuge mit Gästen umher, aber die nationale, stolze, blau-gelbe Fluggesellschaft unserer Wahl hatte keinen Gedanken daran verschwendet, etwa einen solchen für die Spätankömmlinge zu beschaffen. Noch konnten Sie eine Auskunft geben, zu welchem Gate wir zu eilen hatten.

"Sorry, aber ich kenne mich hier nicht aus“ erklärte die schmucke Stewardess und streckte uns mit aufmunterndem Blick nochmals ihren fest gedrückten Daumen zu.

Ein freundlicher Flughafenmitarbeiter nannte uns dann zumindest das richtige Gate und rief uns anfeuernd und in perfektem Englisch zu: „Das ist weit. Etwa 1.800 m zu laufen und Sie müssen noch durch die Kontrollen!“

Wir rannten! Wir stießen zwei mit Maschinenpistolen bewaffnete Beamte, die uns auf das Ende der Warteschlange vor der Passkontrolle zu verweisen versuchten, entschlossen zur Seite und zeigten unsere Pässe. Ich bin nicht sicher, ob es Einbildung war, aber ich glaubte Maschinenpistolen-Salven zu hören.

Die verständnisvollen Passkontrolleure hingegen feuerten uns weiter an! „Rennen Sie, sie können es schaffen. Es sind nur noch 700 Meter!“

Und wir rannten! Mit ca. 15 kg erlaubtem Handgepäck. Ich selbst mit 73 Jahren und erkennbaren Vorzeichen eines Herzinfarkts. Die Menschen um uns herum applaudierten und warfen uns Wasserflaschen zu.

Endlich! Die Ziellinie. Eine Flugbegleiterin des Thai Inter-Anschlussflugs winkte uns mit einer „Checkered Flag“ ab und führte uns ins Flugzeug. Wir hasteten an Bord, setzten uns auf die Plätze 16E und 16F, und Sekunden später rollte der Flieger an. Thai International, Champagner, Snacks, freundliche Flugbegleiter … wir waren zu Hause. Im Flughafen Bangkok waren die Koffer schon vor uns am Band. Großartig. Alles war gut.

Sorry, Deutschland, aber ich bin langsam wirklich zu alt, um in ein Entwicklungsland zu reisen.